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Wild West in Rodeo

Doch noch − Irgendwann haben wir es geschafft und lassen Douglas hinter uns. Auf einer Überlandstrasse fahren wir nach Norden Richtung Rodeo. Es ist Samstagabend und bei uns keimt Hoffnung auf. Vielleicht verbringen Tom und Alicia das Wochenende auf ihrer Farm.

Rodeo ist ein kleines Nest an der Grenze zwischen Arizona und New Mexico. So klein, dass wir im Dunkeln glatt an den paar Häusern am Strassenrand vorbeibrausen. Ungläubig schauen wir uns an. Ob das wohl Rodeo war? Tatsächlich! Wir kehren um und halten vor der Taverne. Am Eingang steht geschrieben, dass das Tragen von Schusswafen im Lokal nicht erlaubt ist. Was wir erst als Wildwest-Touristenkram abtun, ist ernst gemeint.

Ein Anruf bei Tom ist erfolgreich. Er und Alicia verbringen tatsächlich das Wochenende in Rodeo und sie freuen sich über unseren spontanen Besuch. Wir haben Tom und Alicia in Whittier, Alaska, kennen gelernt, wo sie bei Tom’s Schwester Ferien machten. Wir blieben per E-mail in Kontakt und freuten uns sehr, als sie uns für Weihnachten auf ihre Farm einluden. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Im Dezember lernten wir Chris und Jodi kennen und verbrachten 3 Wochen inklusive Weihnachten bei ihnen in Cortez. Nun aber klappt es doch noch mit einem Treffen. Tom ist bereits mit dem Auto unterwegs zur Taverne, um uns abzuholen.

 

«You know, I am an old soldier» − Für Nanuq’s Geschmack etwas gar schnell fährt Tom über die Schotterpiste voran und führt uns zu seiner Farm. Sie liegt abgelegen am Fuss einer Hügelkette. Alicia, zwei deutsche Doggen (Xochitl und Cochise) und ein Dackel (Tuffy) empfangen uns. Die Farm besteht aus zwei von der Form her gleichen aber unterschiedlich grossen Häusern. Das kleinere der beiden wird uns als Gästehaus zugewiesen. Im grossen macht sich Tom sofort in der Küche zu schaffen. Er brät für uns zwei leckere Omeletten mit Gemüse und Schinken. Wir sind einmal mehr überwältigt von der Gastfreundschaft der Amerikaner. In der Schweiz hätten wir uns wohl kaum getraut, an einem Samstagabend so unverhofft bei flüchtigen Bekannten aufzukreuzen.

Der Abend wird sehr lustig. Wir erzählen, was wir seit Alaska alles erlebt haben und Tom, der alte Soldat, wie er sich zu nennen pflegt, unterhält uns seinerseits mit Geschichten aus seiner Kindheit und der Zeit bei der Armee. Dank dem Militär lernte er verschieden Länder und Sprachen kennen, unter anderem deutsch, spanisch, tschechisch und koreanisch. Das waren zwar nicht seine Wunschsprachen aber schliesslich wurde die Ausbildung von der Armee bezahlt und somit auch von ihr bestimmt, woran zur jeweiligen Zeit am meisten Bedarf bestand.

Später arbeitete Tom bei der Grenzkontrolle zu Mexiko (Border Controll). Da sich Rodeo nicht weit von dieser Grenze befindet, begegnen ihm auch heute noch illegale Einwanderer. Zu Fuss kommen sie an seiner Farm vorbei, darauf hoffend, dass hinter dem nächsten Hügel endlich die Stadt zu finden ist, die ihnen die Schlepper vorgegaukelt haben. Seit Tom im Ruhestand ist, lässt er sie ziehen. Die Hunde ihrerseits sorgen dafür, dass die Mexikaner nicht zu nahe ans Haus herankommen.

 

Schlangenhaut − Am Sonntag zeigen uns Tom und Alicia auf einem kleinen Spaziergang auf ihrem Gelände ein paar Felsmalereien. Damit sie besser sichtbar sind, spritzt Tom den Stein zuerst mit Wasser ab.

Am Nachmittag schauen wir auf den Baustellen der beiden «Nachbarn» (so weit entfernt, dass wir sie mit dem Auto besuchen) vorbei. Auf der ersten Baustelle ist bis auf den Grundriss noch nicht viel zu sehen. Momentan sind sie gerade daran, die Bodenheizungsrohre zu verlegen. In einem weiteren Schritt werden diese dann in Beton eingegossen.

Susanne und Lee sind mit ihrem Haus schon etwas weiter. Aber auch auf sie wartet noch viel Arbeit. Zumal sie jeden Ziegel ihres Hauses selber giessen und setzen. Als gäbe dies allein nicht schon genug zu tun, haben sie auch noch ein halbrundes Fenster eingeplant. Wir finden Tom und Alicia’s Konzept besser. Ihr Haus ist zwar relativ simpel, aber dafür können Sie darin bereits ein angenehmes Leben führen. Susanne und Lee dagegen werden wohl noch längere Zeit im Wohnwagen neben ihrer Baustelle ausharren müssen.

Da der Besuch bei den Nachbarn länger dauert als geplant, fällt die vorgesehene Wanderung auf die umliegenden Hügel aus. Eine Wanderung, die einiges an Spannung versprach. Scheinbar hat es in der Gegend viele Klapperschlangen und die Einheimischen machen mit diesen Tieren oft kurzen Prozess. Mit spezieller Schlangenmunition werden Sie mit der Pistole erschossen. Den Beweis liefern uns Tom und Alicia zu Hause. In ihrem Kühlschrank lagert fein säuberlich aufgerollt und in einem Plastiksack verpackt die Haut eines Ihrer Opfer. Ja, manchmal wähnen wir uns hier in einer anderen Welt. Der Wilde Westen ist noch spürbar. Tom geht zum Beispiel nie aus dem Haus, bevor er sich nicht seinen Cowboyhut aufgesetzt und den Pistolengürtel umgehängt hat. Das Gesetz in New Mexico erlaubt es jedem, eine Waffe auf sich tragen, solange diese offen gezeigt wird. Waffen gehören hier zum Alltag. Als Markus Tom auf seiner Tour ins Dorf begleitet, um den Wassertank aufzufüllen, treffen sie auf einen Freund von Tom, der sie kurzerhand einlädt seine Waffensammlung zu begutachten. Einmal macht uns Tom sogar das Angebot einer Schiesslektion. Wir lehnen beide dankend ab. Die Enttäuschung ist Tom ins Gesicht geschrieben. Aber wir lassen uns lieber seine Solar- und Windanlage zur Stromproduktion erklären, als Lucky Luke zu spielen.

 

Davidson’s dream − Mit Alicia spielen wir Trivial Pursuit. In englisch eine echte Herausforderung. Alicia ist kubanischer Abstammung und Tom hat auch dazu ein paar lustige Anekdoten auf Lager. So hat er, als alter Soldat und Grenzwächter nota bene, zum Beispiel kubanische Zigarren in einem Pferdetransporter via Mexiko in die USA geschmuggelt.

Am Nachmittag nehmen uns Tom und Alicia mit auf einen Ausflug nach Portal, Arizona und in den Cave Creek Canyon. Die Umgebung ist bei Ornithologen und Astronomen gleichermassen bekannt. Erstere kommen her um die vielfältige Vogelwelt zu beobachten und die Forschungsstation zu besuchen. Die zweite Gruppe schaut in den nächtlichen Himmel, der hier wegen der geringen Lichtverschmutzung besonders viele Sterne hervorbringt.

Am Abend kommt Alicia’s Sohn Mario von einer Klettertour zurück. Wir verbringen zu fünft einen gemütlichen und unterhaltsamen Abend. Da am Montag ein Feiertag ist, übernachten wir ein weiteres Mal bei ihnen auf der Farm. Noch ist die Farm nur ihr Wochenend-Domizil. Sobald auch Alicia, die als Lehrerin arbeitet, pensioniert ist, werden sie ganz von El Paso nach Rodeo ziehen. Um das Farmleben zu komplettieren, wollen sie sich dann ein paar Pferde anschaffen.

 

Ansichtssache − Am nächsten Morgen erwartet uns eine Überraschung. Es hat geschneit. Wir sind nicht besonders beeindruckt, erinnert uns die dünne Schicht doch eher an Frost als an Schnee. Tom hingegen ist ganz aufgeregt. Schnee in der Wüste gibt es schliesslich nicht alle Tage.

Bevor wir und die Davidson’s aufbrechen, will uns Tom eine Waffe mit auf die Reise geben. Als Schutz auf dem Weg durch den Süden wie er meint. Wir könnten die Waffe am Schluss bei Alicia’s Cousine Pat in Washington abgeben. Ob Pat daran Freude gehabt hätte, bleibt zu bezweifeln. Als wir sie ein paar Monate später kennenlernen, merken wir schnell, dass sie in politischen Belangen komplett andere Ansichten vertritt als Tom. Wir lehnen das Angebot aber sowieso dankend ab. Beide würden wir uns mit einer Waffe im Auto weniger wohl fühlen als ohne.

 

Unterschiede ja, aber ... − Das Wochenende bei Tom und Alicia hat uns sehr gut gefallen. Auch wir waren bei vielen Themen anderer Meinung als Tom, aber trotzdem oder vielleicht gerade deswegen waren die Diskussionen mit ihm immer sehr interessant. Wir genossen auch die ausgesprochen gute Küche von Tom und Alicia. Einzig zum Verzehr von Jelly, liess sich Lulu nicht überreden. Die in den giftigsten Farben produzierten «Wabel-Puddings» sind schon optisch nicht nach ihrem Geschmack. Natürlich haben wir auch die drei Hunde ins Herz geschlossen. Der Unterschied zwischen Dackel und deutscher Dogge könnte grösser nicht sein und tatsächlich waren sich die beiden Parteien nicht immer einig. Besonders lustig war die Szene, als sich der Dackel selbstbewusst ins Bett von einer der Doggen legte. Diese rächte sich, indem sie kurzerhand den Liegeteppich des Dackels verschleppte.

Nachdem die Abschiedsfotos gemacht sind, verlassen die Davidson’s ihre Farm. Wir machen Nanuq ebenfalls für die Weiterfahrt parat. Bevor wir Rodeo verlassen, fahren wir allerdings noch ein Stück weit in den Canyon hinter Tom und Alicia’s Farm hinein. Die beiden haben sich für ihren Lebensabend wirklich eine sehr schöne Gegend ausgesucht. Auf den Besuch der nahe gelgenen Chiricahua Mountains, die uns die beiden empfohlen haben, verzichten wir aber dennoch. Felsformationen haben wir in den letzten Wochen im Südwesten zur Genüge gesehen. Wir sind am Punkt angelangt, wo selbst ausgefallene Formationen lediglich als ein paar weitere Steine wahrgenommen werden. Wir haben Lust auf etwas Neues. Die Dünen des White Sands National Monument warten...